Freitag, 23. Januar 2015

Flüchtlinge aus Syrien bei uns am GGG



Fast jeden Tag hören wir es in den Medien: Kriegsflüchtlinge aus Syrien überschwemmen die hiesigen Flüchtlingslager und Asylbewerberheime. Die große Frage, ob und wie viele Flüchtlinge Deutschland aufnehmen soll, spaltet die Bevölkerung. Mitte Dezember 2014 brannten Unbekannte ein Asylbewerberheim in Unterfranken nieder, rechtsgerichtete Organisationen wie Pegida und Hooligans gegen Salafisten nutzen die Angst der Bevölkerung vor dem Unbekannten und der „Islamisierung“ für ihre Zwecke. Gleichzeitig finden sich tausende zu Gegendemonstrationen zusammen, bieten ihre ehrenamtliche Hilfe an oder spenden für die Betroffenen. Um uns ein eigenes Bild zu machen haben wir, die Schüler und Schülerinnen der Klasse 9d, eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien, die in Gernsbach in einem umfunktionierten ehemaligen Gasthof lebt, zu uns ans GGG eingeladen. 



Die drei Geschwister Farah, Ghazal und Mohammed waren zusammen mit ihrer Mutter Salwa in einem völlig überfüllten Boot aus Lybien, wo sie nach der Flucht aus Syrien zwei Jahre lebten, nach Europa geflohen. Die Gründe hierfür waren einerseits die ständige Bedrohung des eigenen Lebens auch in Lybien und die Diskriminierung dort. Der Vater befand sich zu dieser Zeit in der Türkei, wo er einen Job gefunden hatte und konnte nicht zurück zu seiner Familie. Das Boot havarierte bei totaler Finsternis inmitten des Mittelmeers und die Passagiere erlitten Todesangst, bis sie von der italienischen Marine gefunden und aufgenommen wurden. In Europa angekommen entschieden sie sich für die Weiterreise nach Deutschland, da ihnen Deutschland aus Syrien als Garant für Qualität bekannt war und sie das Erlernen der deutschen Sprache auch für ihre Zukunft als sinnvoll erachteten. Sie wurden in Mannheim von der Polizei abgefangen und kamen von dort über Umwege nach Gernsbach, wo noch im Dezember der Vater Bassem, der die etwa 1.800 km lange Strecke nach Deutschland größtenteils zu Fuß zurückgelegt hatte, zu der Familie stieß.

In Syrien wohnte die Familie in einem geräumigen Haus im Regierungsviertel von Damaskus, der Vater war Inhaber einer kleinen Firma und als Innenarchitekt bzw. Ingenieur tätig. Die drei Geschwister waren gut in der Schule und lernten dort neben den üblichen Fächern auch Englisch, alle wollen studieren. Ihr Haus haben sie nun den Verwandten, die noch in Syrien sind, zur Verfügung gestellt, da deren Häuser zerstört wurden. Sie sind mit diesen noch in Kontakt, und es ist unvorstellbar für uns, was diese Menschen durchmachen müssen. Immer mit dem Tod rechnen zu müssen und nicht zu wissen, ob man den nächsten Tag noch erlebt, muss die Hölle auf Erden sein.

Mich persönlich hat besonders berührt, dass es Jugendliche sind wie wir. Jugendliche, die die gleichen Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Sorgen haben und die nun alles verlassen und ihre Heimat, ihre Freunde und ihre Familie zurücklassen mussten, was ihnen keinesfalls leicht fiel. Allein die Tatsache, dass sich Vierzehnjährige mit dem Gedanken, jeden Moment zu sterben, beschäftigen müssen, hat mich sehr schockiert.

Auf die Frage hin, was sie uns gerne wissen lassen wollen, antwortete mir Farah, dass alle Syrer, die nach Europa gekommen sind, die Hölle durchlebt haben und der Tod allgegenwärtig war und dass jede Familie in Syrien mindestens eine geliebte Person, ein Familienmitglied, einen sehr guten Freund im Laufe des Krieges verloren hat. Und dass niemand von denen, die jetzt zu uns kommen, freiwillig seine Heimat und seine Verwandtschaft dort verlassen hat. Beeindruckend finde ich, wie dankbar und zielstrebig diese Jugendlichen trotz all dem Schrecklichen, das sie durchgemacht haben, noch sind und mit welchem Engagement sie nun versuchen, unsere Sprache zu erlernen. Ihr jetzt größter Wunsch ist es, arbeiten gehen zu können, sich eine Wohnung oder ein kleines Haus zu kaufen und sich hier ein neues Leben aufbauen zu können. Doch dieser Wunsch wird ihnen nicht erfüllt, seit Monaten warten sie schon auf die Aufenthaltsgenehmigung, die ihnen zwar sicher ist, jedoch noch nicht ausgestellt wurde. Bis dahin müssen sie nun zu fünft in zwei kleinen Räumen leben. Ein großer Schritt in Richtung neues Leben war der Platz in einer Schulklasse für Schüler ohne Deutschkenntnisse. Obwohl deren Besuch freiwillig ist, nehmen sie jeden Tag den Weg dorthin auf sich, um Deutsch zu lernen und, sobald sie die Aufenthaltsgenehmigung haben,  auf eine reguläre Schule wechseln zu können.



Henrik Stumpf



Nachtrag der Redaktion: Seit dem 12. Januar 2015 besuchen die drei Geschwister das GGG.


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