Zeitzeugeninterview mit Torsten Hennig
Auch wenn viele der Schüler Eltern, Großeltern, Verwandte
oder Bekannte kennen, die in der DDR gelebt haben, gehört sie für unsere
Generation eindeutig zur Vergangenheit. Fast so weit weg wie der Zweite
Weltkrieg kommt sie uns vor, und ein geteiltes Deutschland können wir uns gar
nicht mehr vorstellen. Um die Erinnerung an das Leben und Aufwachsen in der DDR
aufrecht zu erhalten, organisierte unsere Schule am Mittwoch, den 20.05.2015,
ein Interview mit dem Zeitzeugen Torsten Hennig. Ganze zwei Stunden berichtete
er von seinem Leben in der DDR und untermalte seinen Vortrag mit DDR-Liedern.
Torsten Hennig, der als Sohn einer christlichen Mutter, die
als Diplomsozialarbeiterin arbeitete, und eines Diplomingenieurs mit seinem Bruder in
Stralsund aufwuchs, schilderte anhand von Bildern, Originaldokumenten und
lebhaften Erzählungen die Schwierigkeiten und Konflikte im Leben eines Kindes
und Jugendlichen in der DDR. Immer wieder stellte er dabei die Konflikte, die
Widersprüche dar. Ein prägendes Ereignis für Torsten Hennig war, als er einen
Schüler, der eine Urkunde als Toilettenpapier bezeichnet hatte, verpetzte, eine
Tat, für die er sich bis heute schäme. Als er dies stolz seinem Vater erzählte, bekam er eine Ohrfeige, die gesessen hatte. Vom Pionierleiter gelobt, vom Vater gerügt,
wurde ihm schon im Grundschulalter klar, dass Zuhause und Öffentlichkeit strikt
getrennt werden mussten. Was daheim an Normen und Werten galt, konnte in der Öffentlichkeit
falsch sein und umgekehrt. Wie für so viele andere auch war Torsten Hennigs
Leben quasi vorbestimmt. Er sollte studieren, aber nur wer staatskonform war
und der sozialistischen Ideologie entsprach, war dazu berechtigt. Jungpioniere,
Thälmannpioniere, FDJ - diese Laufbahn
war im Sozialismus ganz selbstverständlich. „Man dachte gar nicht darüber
nach“, meinte Torsten Hennig. In den Jugendorganisationen selber fühlte sich T.
Hennig wohl, man machte gemeinsame Ausflüge, zeltete im Wald, sang
Kampflieder, organisierte Tanzveranstaltungen und feierte gemeinsam, ließ es auch mal so richtig krachen. Doch, wie er erst später erkannte, alles war ideologisiert und
politisiert, und letztendlich dienten diese Jugendorganisationen hauptsächlich
zur Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf das spätere Leben im
Sozialismus. Die Lieder lobten die Partei und den Sozialismus und schon im
Kindergartenalter war für die Jungen klar, dass sie zur Armee gehen würden,
gefallene NVA-Soldaten wurden wie Helden verehrt. Das sozialistische System
duldete keine Andersdenkenden oder Individualität. Dass der Sozialismus siegen
würde, daran bestand für Torsten Hennig im Kindesalter kein Zweifel. Ein
weiterer Konflikt kam für ihn mit der Jugendweihe. Religion war in der DDR
verpönt. Nicht verboten, aber verpönt. Statt Gott wurden die Partei und die
sozialistische Gemeinschaft als höchste Instanz angesehen, und so wurde in der
8. Klasse statt der Konfirmation die Jugendweihe gefeiert. Sie bezeichnete den
Übergang vom Kind zum Erwachsenen und war ein großes Fest. Hennig als
Protestant feierte beide Feste. Für ihn als Kind war das natürlich toll,
zweimal Geschenke zu bekommen, einmal von den West- und einmal von den
Ostverwandten. Doch auch der Konflikt zwischen Religion und Kommunismus
beschäftigte ihn. Als gläubiger Mensch sah er sich ständig konfrontiert mit dem
Widerspruch, gläubig und staatskonform zu sein. Zu unterscheiden zwischen
Öffentlichkeit und Privatem. Denn, und das lernte er früh, nur wer sich in die
Gemeinschaft einordnete, hatte Erfolg. Andersdenkende oder Individualisten
waren in der DDR nicht erwünscht. Er selbst bezeichnete sich als „zwischen Baum
und Borke“ stehend. Im September 1979 begann T.H. ein Studium an der E.-M.-A-Universität Greifswald als Diplomlehrer. 1980 schließlich, zur Zeit der Stationierung von
Atomraketen in der ehemaligen BRD und der DDR, wurde ihm bewusst, dass Deutschland nur als
Pufferzone diente für den West- bzw. Ostblock. Als Zeichen des Widerstands trug
er einen runden Aufnäher auf dem die Worte Standen: Schwerter zu Pflugscharen, ein friedlicher Protest gegen die Aufrüstung beider Seiten.
Die Polizei jedoch duldete das Tragen dieses Emblems nicht, und er wurde aufgefordert, es
abzunehmen. Er weigerte sich jedoch, was weitreichende Konsequenzen hatte. In
zahlreichen Gesprächen wurde ihm klar gemacht, dass es nicht auf die eigene
Meinung ankommt und es nicht klug sei, diese öffentlich zu äußern. Deutlicher
machte es ihm der Rektor der Universität. Angehende Lehrer, die sich derart der Staatsdoktrin widersetzten, könnten unmöglich in den Schuldienst übernommen werden. Er drohte mit der Exmatrikulation. Er könne sein Studium nur beenden, sofern er
unterschrieb, auf den Einsatz als Lehrer zu verzichten. Um zwei Jahre Studium
nicht umsonst absolviert zu haben, unterschrieb er und beendete sein Studium in
der Hoffnung, es habe schon alles seinen Sinn. Doch mit der DDR war er nun endgültig
fertig. Die tiefgreifenden Einschränkungen in allen Bereichen, wenn man auch
nur minimal von dem sozialistischen Ideal abwich, waren für ihn nicht mehr
auszuhalten. 1981 heiratete er im Alter von 22 Jahren seine Ehefrau und bezog
mit ihr eine 35m²-Wohnung. Nach dem Studium wurde er dann von der Kirche
angestellt und seitdem von der Stasi überwacht. Auf diesen Teil ging er jedoch
nicht weiter ein. Später dann war er im Widerstand integriert, organisierte als führendes Mitglied gemeinsam mit dem Friedenskreis im Herbst 1989 die friedlichen Proteste in seiner Heimatstadt und traf sich mit Gleichgesinnten täglich zu
Lagebesprechungen. So war er auch beim Fall der Berliner Mauer viel zu
angespannt und zu beschäftigt, dies wirklich wahrzunehmen. Nach seinen
lebhaften, zum Teil auch emotionalen aber stets sachlichen Erzählungen stimmten
alle Zuhörer noch ein „Happy Birthday“ an, denn trotz seines Geburtstages war
Torsten Hennig an unsere Schule gekommen. Verabschiedet wurde er dann nach
einer kurzen Fragerunde, in der offene Fragen geklärt wurden, mit verdientem
Applaus.
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